Weihnachten 1944

Das junge talentierte Paar Ruth und Helmut verfasst und illustriert ein Märchen, das in der Stadt Halle (Saale) spielt.

Die handbeschriebenen und verzierten Seiten binden sie liebevoll zu einem Büchlein ein und schenken es dem Nachbarskind Rosalie zum Weihnachtsfest.

Hier habe ich die Geschichte unverändert aufgeschrieben und die wunderschönen Bilder digitalisiert.

Die wunderliebliche Fee

Es war einmal in einem großen Kriege ein junger Soldat. Der hatte einige Jahre seinem König treu und redlich gedient, war in mancher Schlacht dabeigewesen, hatte die Gewehrkugeln singen hören und die Stücke der Kanonenkugeln waren um ihn her geflogen. Aber ihn hatte keine Kugel getroffen und kein Säbelhieb verwundet; doch von einer bösen Krankheit war er befallen worden, und der Arzt seines Regiments hatte gemeint, daß er bald daran sterben müsse. 

So mußte er aus der Armee des Königs ausscheiden und war traurig nach seiner Heimat gezogen. Er war tiefbetrübt, daß er nun schon so früh sterben müsse. Nicht einmal ein ehrlicher Soldatentod sollte ihm vergönnt sein, nein, sein Los war es, an dieser schleichenden Krankheit langsam dahinzusiechen. Der junge Soldat, der doch früher immer einer der lustigsten gewesen war, dachte nun nur noch an seinen nahenden Tod, und niemand konnte ihn mehr erheitern.

Eines Tages war er in einen großen Wald gegangen, der dicht bei seiner Heimatstadt lag. Er war lange Zeit planlos hin und her gelaufen und dabei müde geworden. So kam er zu einer Waldlichtung; dort ließ er sich nieder, um ein wenig auszuruhen – und schlummerte ein.

Als er wieder erwachte, war es Abend geworden, der fahle Mond stand am Himmel, und sein mildes, silbernes Licht umfloß die dunklen Tannen, die gar trotzig zum Himmel aufragten, als seien sie zu Wächtern der Lichtung bestimmt. Während der junge Soldat sich noch schläfrig reckte, hörte er plötzlich einen lieblichen, zarten Gesang. Er richtete sich auf und sah – und sah – drei schöne Elfen einen Reigen tanzen. Er blickte sie an und fand, daß eine fast schöner sei, als die andere.

Die erste hatte lichtbraune Haare, die in sanften Wellen bis zu den Schultern fielen, ihre Augen waren hell und ihr Mund purpurrot. Die zweite hatte dunkelbraunes Haar, das in Löckchen bis zu ihren Hüften hinabfloß, ihre braunen Augen hatten einen Glanz, wie wenn die letzten Strahlen der scheidenden Abendsonne in geschliffenem Glas funkeln. Das Haar der dritten war schwarz wie Ebenholz und ringelte sich gleich tausend Schlangen in ungezügelter Lockenfülle bis zu ihren Knien. Ihre Augen strahlten wie schwarze Diamanten. 

Alle drei waren in silberne Schleiergewänder gekleidet, die beim Tanze die herrlichen Körper der Elfen sanft umkosten, wie die Wogen der Brandung die Klippen umspielen mögen.

Der junge Soldat schaute lange Zeit auf die drei schönen Geschöpfe und konnte sich nicht sattsehen an ihnen. Da mußte er sich plötzlich durch eine unbewußte Bewegung verraten haben; denn die Elfen hielten plötzliche ein im Tanz und blickten zu ihm herüber.

„Ein Beobachter?“ fragte die erste. „Ein Soldat ist es!“ lachte die zweite. „Ein Gespiele für uns!“ jauchzte die dritte. So kamen die Elfen gesprungen und baten den jungen Soldaten, er möchte mit ihnen tanzen. Das ließ er sich nicht zweimal sagen, und bald tanzten sie zusammen über die Waldwiese. So spielten und tollten sie eine Weile, als der junge Soldat mitten im Reigen stehen blieb. Er hatte eine Frauengestalt erblickt, die so schön war, daß ihm der Atem stockte.

Ihr langes, goldenes Haar umfloß in weichen seidigen Locken ihre liebliche Gestalt, ihre Augen waren sternenhell, dabei brunnentief und von sanft geschwungenen, langen Wimpern beschattet. Über ihrem ganzen Antlitz lag ein Leuchten, wie wenn die Morgensonne den jungen Tag zum ersten Male küßt und das frische Grün mit feurigem Golde überschüttet. Ihr Körper war noch viel schöner und zierlicher als die der anderen Elfen, und ein goldenes Schleiergewand schmiegte sich um die edlen Glieder.

„Wer ist das?“ fragte der junge Soldat die drei Elfen. „Das ist die wunderliebliche Fee,“ erwiderten sie, „aber komm, laß uns weiterspielen!“ „Nein, laßt mich,“ sagte der junge Soldat, und wie die Elfen auch weinen und flehen mochten, er ließ sie stehen und schritt auf die wunderliebliche Fee zu. Als er ganz nahe bei ihr war, mußte er die Augen schließen, so sehr blendete ihn ihre Schönheit, und sein Herz sprengte ihm fast die Brust, so wild klopfte es , denn er hatte sich gleich in sie verliebt. 

Doch als er nach ihr greifen wollte, um sie zu küssen, da zerfloß sie wie Nebel. Er stand noch lange Zeit, aber sie kam nicht wieder. Auch die drei Elfen waren jetzt verschwunden. Da ging er noch viel trauriger nach Hause, als er es war, ehe er in den Wald kam.

Seine Sehnsucht nach der wunderlieblichen Fee war jedoch so groß und übermächtig, daß er beschloß, sich selbst den Tod zu geben, weil er ohne sie nicht mehr leben zu können glaubte. Er ging also hinaus vor das Stadttor, um sich daselbst von dem felsigen Galgenberge in die Tiefe zu stürzen. 

Als er traurig und trübsinnig den schmalen, steilen Weg zum Gipfel des Galgenberges hinanstieg, sah er eine alte Frau zwischen dem Unterholz suchend hin- und hergehen.
„Was treibt ihr da, alte Hexe?“ So rief der junge Soldat sie an. „Hexe? Nun, eine Hexe bin ich zwar nicht, doch weiß ich eine Menge wundertätige Zaubersprüchlein und kenne viele heilkräftige Kräuter und Wurzeln,“ entgegnete sie, „und was mag ich hier schon weiter treiben, als Wurzeln suchen; denn aus den Knochen der Gehenkten wachsen die kräftigsten Zauberkräutlein!“ „So, so,“ sprach darauf der junge Soldat „nun, vielleicht hast du auch ein Mittel gegen gebrochene Herzen, daran leide ich nämlich seit gestern Abend!“

Da er zu der Alten Vertrauen gefaßt hatte, zögerte er nicht mehr lange und erzählte ihr seine Geschichte und das Erlebnis des gestrigen Abends. Als er geendet hatte, sah sie ihn an und sagte dann: „Du dauerst mich! Solch junges Blut darf nicht verderben, wart‘ ich werde dir helfen! Komm nur mit nach meiner Hütte, dort will ich dir beibringen, wie du dich zu verhalten hast, um die wunderliebliche Fee für dich zu erringen!“

So wanderten sie dann zu der Hütte der alten Frau. Dort angekommen, zog die Alte - nicht etwa einen Schlüssel, wie es andere Leute tun – eine Wurzel aus der Tasche, schlug damit dreimal gegen die Tür und murmelte dabei einige Worte. Da sprang die Tür mit einem lauten Krach auf. Die Alte trat ein und sagte, der junge Soldat möge ihr getrost folgen und sich nicht fürchten.

In der Hütte sah es freilich seltsam genug aus. In der Ecke beim Herd standen allerhand Tiegel und Geräte, als ob die Alte eine Goldmacherin sei. Auf der anderen Seite standen viele Fläschchen und Büchsen, in denen allerlei Tränklein und Pülverchen aufbewahrt wurden. In der anderen Hälfte des Raumes aber hingen an Schnüren aufgereiht viele tausend Kräuter und Wurzeln. Die Alte hieß den jungen Soldaten sich auf eine Bank zu setzen, die in der Nähe des Herdes stand. 

Da kamen zwei schwarze Katzen geschlichen, deren Augen sprühten grünes Feuer. Der junge Soldat aber fürchtete sich nicht vor ihnen, sondern beugte sich  zu ihnen herab und streichelte sie. Da machten sie krumme Buckel, stellten die Schwänze in die Höhe und schnurrten laut vor Behagen. Aus ihrem Fell aber stoben Funken. Die Alte hatte einen Funken aus dem Fell ihrer Katzen gefangen, trat damit zum Herde und warf ihn in den bereitliegenden Zunder. Dann pustete sie dreimal daran, und hochauf loderten die Flammen. 

Die Alte ging nun und holte einige Flaschen und Pülverchen, von denen sie je ein wenig in einen Tiegel zusammenschüttete, dabei murmelte sie wieder allerlei Zaubersprüche. Da erhob sich ein leichter Wind, der die Flamme des Herdes anfachte. 

Die Alte aber ließ sich den Säbel des jungen Soldaten geben und hielt ihn über den Tiegel. Da schoß plötzlich eine grünliche Flamme daraus hervor und brannte rings um den Säbel ab; dann gab die Alte ihn wieder an den jungen Soldaten zurück. Nun ging sie zu den Kräutern, suchte lange darunter und wählte schließlich eines aus, das sie dem jungen Soldaten gab. 

Es war seltsam geformt und hatte an einem Stengel drei kleine, herzförmige Blätter. Zum Schlusse nahm sie dann noch eine Wurzel und gab sie ihm auch noch; dann sprach sie:„ Du mußt heute um Mitternacht zu der Waldwiese gehen, wo du die wunderliebliche Fee erblickt hast. Dort ziehst du mit deinem Säbel, den ich fest gemacht habe, einen dreifachen Kreis um dich. Dann nimmst du das Kräutlein, was ich dir gab, es ist das Kräutlein Wundertüchtig; du mußt nacheinander seine drei Blättlein abzupfen und dabei rufen: ‘Fürst Alberich, gib deine schönste Elfe frei! Herbei, du wunderliebliche Fee, herbei, herbei!‘ Was dann geschieht, wirst du schon sehen. Solltest du jedoch dabei in Gefahr kommen, so nimm die Wurzel, die ich dir gab, steck sie in der Mitte des Kreises in den Erdboden und rufe: ‘Großer Riese Starkgesell, eil‘ herbei und hilf mir schnell!‘ Führst du dieses alles richtig aus, so muß die wunderlieblich Fee dein werden.“

Der Soldat bedankte sich herzlich bei dem alten Weibe, nahm seinen Säbel, das Kräutlein und die Wurzel und lief, da es schon Abend werden wollte, in den Wald. Dort suchte er die Lichtung, und als er sie gefunden hatte, setzte er sich nieder und wartete, bis er es Mitternacht schlagen hörte.
Dann sprang er auf, zog seinen Säbel aus der Scheide und zog damit einen dreifachen Kreis um sich herum. Dann zupfte er das erste Blättlein des Kräutleins Wundertüchtig ab, und rief dabei: „Fürst Alberich, gib deine schönste Elfe frei, herbei, du wunderliebliche Fee, herbei, herbei.“

Da rauschte es in den Tannenwipfeln, und große Eulen kamen geflogen, die hatten glühende Augen, mit denen schossen sie Blitze nach dem jungen Soldaten, und mit ihren großen Schnäbeln knappten sie gar gefährlich, als ob sie ihn verschlingen wollten. Der junge Soldat aber fürchtete sich nicht und lachte ihrer nur. Dann zupfte er das zweite Blättlein ab und rief wieder seinen Zauberspruch. Da erhob sich ein großer Sturm, der bog die Wipfel der mächtigen Tannen bis zur Erde hinab. Und große Spinnen kamen gekrochen, und Schlangen und giftiges Gewürm umschlich den Kreis. Als aber eine Weile vergangen war, verschwand der Spuk wieder.
Nun zupfte der junge Soldat das letzte Blatt des Kräutleins Wundertüchtig ab und rief seinen Spruch zum dritten Male. Da brachen Flammen aus der Erde hervor und waberten um den Kreis. Dann barst die Erde, und die wunderliebliche Fee stand plötzlich dicht vor dem Kreise. Aber schon kamen gräßliche Ungeheuer geflogen, die sahen halb wie Schlangen und halb wie Drachen aus. Aus ihren gewaltigen Mäulern brachen Flammen und ihre Schwänze peitschten die Luft, sodaß die Tannen, die getroffen wurden, krachend zu Boden stürzten. 

Da faßte den jungen Soldaten Angst, daß diese Ungeheuer der wunderlieblichen Fee etwas antun könnten. Flugs steckte er die Wurzel in der Mitte des Kreises in die Erde und rief: „Großer Riese Starkgesell, eil’ herbei und hilf mir schnell!“ Da tat sich wieder mit einem Krach die Erde auf, und hervor sprang ein mächtiger Riese, der schwang eine gewaltige Keule. Damit stürzte er auf die Ungeheuer los und schlug sie alle mausetot. Plötzlich schlug die Turmuhr von der Stadt ein Uhr. Da war der ganze Spuk verschwunden.

Nur die wunderliebliche Fee stand noch da und reichte dem jungen Soldaten lächelnd die Hand. „Du hast mich erlöst,“ so sprach sie, „höre meine Geschichte: ich bin eines mächtigen Königs einzige Tochter. Mich umschwärmten viele Freier, die mit mir Hochzeit halten wollten. Ich aber war hartherzig und wies alle ab und ließ zudringliche gar töten. Da kam eines Tages auch der Sohn des mächtigen Beherrschers der Geister der Unterwelt, aber auch ihn wies ich ab. Da erzürnte der Fürst der Unterwelt und verdammte mich. Er verwandelte mich in eine Elfe und ich sollte ihm dienen siebenhundertsiebenundsiebzig Jahre hindurch. Nun hast du mich erlöst, deine Zauberformel war stärker, als die Macht des Fürsten Alberich. – Wenn du mich zur Frau haben willst, so komm und laß uns zu meinem Vater ziehen.“ 

Der junge Soldat sagte mit tausend Freuden „ja“. Er sagte ihr, wie sehr er sie liebe, und sie küßten sich beide und waren sehr froh. 
Dann breitete die wunderliebliche Fee ihren Mantel auf der Erde aus, der war aus hunderttausendundeinem Schmetterlingsflügel zusammengesetzt. Darauf setzten sich beide nieder, und der Mantel hob sich in die Luft und flog – hui – mit ihnen davon, gerade bis zum Palaste des Königs, dessen Tochter die wunderliebliche Fee war. Der alte König lebte auch noch, denn er durfte nicht eher sterben, bis daß seine Tochter von dem Fluche erlöst war.

Er war nun sehr froh, daß er seine schöne Tochter wieder hatte, und daß sie ihm gleich einen Eidam mitgebracht hatte. So übergab er dem jungen Soldaten sein Land, und nicht lange danach starb er. Der junge Soldat aber feierte mit der wunderlieblichen Fee, die nun seine Königin war, eine prächtige Hochzeit.

Obwohl der junge Soldat nun König war und alles zu seinem Glück hatte, bedrückte es ihn doch, daß er so krank war und bald sterben müsse.

Er sprach auch zu seiner jungen, lieblichen Frau davon. Als die das gehört hatte, ließ sie gleich die besten und berühmtesten Ärzte des Landes kommen. Diese untersuchten den jungen König von vorn und hinten, von oben und unten. Dabei schüttelten sie immer wieder die Köpfe. Der junge König meinte aus ihrem Gebaren zu erkennen, daß es sehr schlecht um ihn stünde. 

Da richtete sich der älteste und weiseste Doktor auf und sagte: „Herr König, wir können auch nicht mehr die Spur der bösen Krankheit an euch entdecken. Ihr seid vollkommen gesund. Das habt Ihr nur Eurer lieblichen Gemahlin zu verdenken, denn ihre Liebe hat euch geheilt!“

Da ward der junge König übermäßig froh, er eilte zu seiner Gemahlin, herzte und küßte sie und erzählte ihr, was die Ärzte gesagt hatten. Da waren die beiden unsagbar glücklich. Es war kein Jahr verflossen, da genas die Königin eins kleinen Töchterleins, die war grad so lieblich, wie ihre Mutter.

Nach und nach schenkte die Königin, die ihr ganzes Leben hindurch ihr wunderliebliches Aussehen bewahrte, dem König noch drei Kinder, zwei Knaben und noch einmal ein Mädelchen. Sie lebten alle zusammen noch lange Zeit überglücklich in ihrem großen, prächtigen Schlosse.
Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie wohl noch heute.

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